Eine Note zu freifunk

Es war Anfang der 2000er Jahre, als drahtlose Netzwerkenthusiastinnen in Leipzig zusammen kamen, um sich gemeinsam über die Gründung eines offenen Meshnetzwerkes auszutauschen.

Die Idee war ein Fensterbrett-zu-Fensterbrett Netzwerk, das Menschen nachbarschaftlich verbinden sollte. Wir wollten eine eigene Netz- und Infrastruktur aufbauen, die sich aus billigen WLAN-Routern zusammensetzte, die von einzelnen, auch anonym, betrieben wurden.

Zur damaligen Zeit waren dezentrale, selbstroutende Meshnetzwerke per WLAN selten. es gab Projekte wie das “roftop net” am MIT oder “Seattle Wireless”, die jedoch nicht wirklich unserer Idee eines flachhierarchischen Ansatzes entsprachen. allerdings beschäftigte man sich damals auch im nicht weit entfernten Berlin bei olsrexperiment.de mit der Idee von sozialen Fensterbrett-zu-Fensterbrett Netzwerken und den dafür nötigen technischen Mitteln. Dort wurden wir fündig und begannen aus der Berliner Firmware unsere eigene Leipziger Version zu stricken.

Als sich später aus olsrexperiment.de die freifunk.net Idee und ihre Community formierte, schloss sich die Leipziger Gruppe der Firmware, der Idee und ihren Grundsätzen (u.a. das “Pico Peering Agreement”) umgehend an.

Olsrd wurde also auch unser erster Routing Algo der Wahl, um die Idee eines Adhoc Mesh’ im urbanen Raum umzusetzen. Wir entschlossen uns damals bewusst die wichtige IP Vergabe in Form einer simplen Liste in einem offenen, pseudonymen Wiki zu regeln. Es war mitunter bei technischen Problemen zwar ärgerlich, denn einige eingetragene IPs waren nicht einmal mit einem Emailkontakt versehen. Allerdings wollten wir eine administrierte Freischaltung aus Gründen des unbedingt offenen Konzeptes vermeiden. Immerhin brachte es die Leipziger Community Mitte der 2000er Jahre mit dieser Methode auf legendäre mehrere hundert aktive Knoten.

Im Gegensatz zum Berliner freifunk Projekt, in dem es zum früheren Zeitpunkt für mobile Endgeräte nur möglich war am Netzwerk teilzunehmen, wenn diese auch ihrerseits olsrd laufen hatten, entschieden wir uns in Leipzig für eine NAT und DHCP Lösung, bei der Clients ohne eigenes OLSRouting am Knoten eine temporäre Lease bekamen und folglich zum Mesh genattet wurden. Strittiger Kernpunkt dieser Debatte war, dass die Zuweisung einer DHCP Lease einen hierarchischen Vorgang darstellte und wir technische und soziale Hierarchien eigentlich gänzlich vermeiden wollten.

Wir wollten, dass Menschen sich minimalinversiv, dezentralisiert und selbstbestimmt in ihrer Nachbarschaft vernetzen konnten und forderten auch jeden freifunk Knotenbetreiber darüber hinaus auf, eigene Dienste im freifunk Mesh anzubieten. Es wurden Plugins für olsrd geschrieben. Es wurden im Mesh Asterisk, Jabber, Blog, Streaming, File und sonstige Server eingerichtet. Es war die Zeit der freifunk Content Debatten, es war ein spannender Spielpatz, auch inhaltlich. Glücklicherweise konnten Knotenbetreiber, die über Gateways zu anderen Netzen verfügten, diese auch ins Mesh einbinden. So tröpfelte auch in den Opalgebieten des Leipziger Südens manchmal etwas Internet aus der Luft, weil nette Menschen nebenan ein Gateway geöffnet hatten. Schon damals war die Frage nach dem Öffnen des eigenen Internetanschlusses für das freifunk Mesh eine heikle Angelegenheit. Es gab auch damals Angst vor “Saugern”, der wir allerdings nicht mit technischen Filtern und Blockaden begegneten, sondern mit sozialen Mitteln, wie Aufklärung und Information (u.a. auch eine Splashpage). Denn im freifunk ist die Freiheit des einzelnen nur so groß wie die seines Nachbarn, es geht darum Ressourcen zu teilen. freifunk ist darum auch immer soziale Basisarbeit, die wir nicht durch technische Mittel erledigen können.

 

Zeitsprung: 2015

Als von der freifunk Community und vom Netzwerk unabhängige (auch namentlich unabhängige) Internet Service Provider (ISP) gegründet wurden, mit dem Ziel provisorisch und temporär juristische Fussangeln der Störerhaltung zu umgehen und den Internet Traffic über entfernte Gateways abzuleiten, ist es in einigen Teilen der bundesweiten freifunk Community offensichtlich zu gravierenden Missverständnissen über den grundsätzlichen Charakter eines “freien” freifunk Netzes gekommen.

Im Westen der Republik sehe ich, dass freifunk Vereine und ISP Konstrukte entstehen, die leider nicht den Bau freier Netzwerke fördern, sondern selbst offiziell als Anbieter von Internetzugängen agieren. Die Ideen des Teilens und der Allmende gehen damit verloren.

Es ist paradox, da die freifunk Idee nicht nur dem Namen nach für “freies funken” steht, sondern auch konzeptionell niemals für ein reguliertes, zentralisiertes Gratis-Hot-Spot-Netz mit integriertem Vereins- oder ISP-Betrieb stand. Das geht nicht gut zusammen und darüber muss in der freifunk Community dringend geredet werden.

Ich möchte darum alle Freifunkerinnen dazu auffordern miteinander zu sprechen, wie wir unsere Netze gestalten, ob wir freie, offene, unregulierte und flache (auch sozial flache) Strukturen bauen oder ob wir mit einer Servicementalität von kommunalen Internet Lieferanten zu Werke gehen. Freifunk kennt keine Kunden und sollte niemals mit dem Lieferversprechen eines Providers konzeptioniert und betrieben werden, denn neben der Idee des hierarchielosen und freien “people owned” Netzwerkes ist freifunk auch eine soziale Community idee, die so dezentral und führungslos funktioniert, wie der im Mesh benutzte algo. Und so wie die Nodes die Informationen über Routen und erreichbare Knoten austauschen, sollten die freifunkerinnen auch ihr Wissen miteinander teilen. Echtes freifunk ist darum auch nicht durch externe, einzelne Eingriffe abschaltbar.

Wir müssen uns klar sein, dass die ISP Lösung nur bei der Umgehung der Störerhaftungsfrage half und ohne die Störerhaftung der freien Funkidee sogar hinderlich werden kann. Sollte die Störerhaftung für private, offene WLANs fallen, so müssen umgehend alle juristischen und technischen ISPkonstrukte im freifunk beseitigt werden.

Ein ideales freifunk Mesh besteht aus autonomen, vom User selbstverwalteten Routern auf jedem einzelnen Fensterbrett einer Strasse und eines Kiezes; eine Meshwolke, die die Menschen lokal vernetzt – eine alternative offene Infrastruktur im urbanen Nachbarschaftsraum. Alle darüber hinaus von einzelnen angebotene Dienste und Gateways innerhalb dieses Mesh’ sind quasi Extras, die sich das offene freifunk Netz lediglich als Transportnetz zu nutze machen. Darum kann auch auf das schon erwähnte Pico Peering Agreement im freifunk an keiner Stelle verzichtet werden.

Wer jetzt die freifunk Idee und ihren Namen benutzt, um regulierte und zentralisierte Hot-Spot Wolken zu bauen oder lokale ISP-Instanzen zu gründen, der verschenkt fahrlässig zuvor mühsam erkämpften politischen und sozialen Raum, den die freifunk Community mit ihrer Idee immer schon definiert hatte. Lokale, selbstverwaltete und nicht-kommerzielle ISPs sind wichtig und wünschenswert. Allerdings haben sie bezüglich ihres Designs und ihrer Funktion nichts mehr mit der ursprünglichen freifunk Vision zu tun. freifunk kann per Definition niemals ISP sein.

Und auch per default eingeschaltete automatische Updatefunktionen in der Firmware, sowie hinterlegte Keys sind nicht mit der Idee einer freien, selbstbestimmten und dezentralen Netzwerkstruktur vereinbar. Die Hoheit über seinen Knoten liegt bei UserIn.

Lasst uns wieder unregulierte Netze bauen, freie freifunk Netze.

#freifunkbefreien

Sven Heinze, @kinolux